Italien sehen und sterben
Warum wir uns seit Jahrhunderten nach Italien sehnen

Iiiitaaaliaaa – Bereits im Namen schwingen die Vokale, und der Auftakt zur Arie erklingt im Kopf, begleitet von viel Gestik und großem Theater. Italien verkörpert ein Lebensgefühl, das in der Redewendung „La Dolce Vita“ seinen Ausdruck findet.
Die ungebrochene Liebe der Deutschen zu Italien ist über Jahrhunderte hinweg ein faszinierendes Phänomen. Für Künstler, Pilger und Bildungsreisende aus Deutschland war Italien mit dem Kunstzentrum Rom bis zum Ende des 19. Jahrhunderts das wichtigste Reiseziel. Jenseits der politischen Realitäten lebt auch heute das „Konstrukt der Italienidylle“ in den Köpfen fort.
Aus welchen Komponenten setzt sich dieses Sehnsuchtsbild zusammen? Wonach sehnen wir uns, wenn wir an Italien denken? Diesen Fragen möchten wir nachgehen – zum Anlass der Frankfurter Buchmesse und Italiens Rolle als Gastland, anhand von Werken, die vorrangig aus dem Kernjahrhundert des deutschen Italienfiebers stammen.
I. Sehnsucht nach ...
Licht und Wärme
Die Sehnsucht nach Italien beginnt mit seinem Klima, der Schönheit der Landschaft und der Natur. Zahlreiche deutsche Künstler lockte der Traum durch neue Inspiration, neue Werke zu schaffen. Über 500 deutsche Maler, Bildhauer, Architekten und Schriftsteller sollen sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Rom und seiner Umgebung aufgehalten haben.
Mit der Reise veränderten die Künstler aus dem Norden die Farben und tauchten ganze Landstriche in völlig veränderte Farbpaletten.
Carl Wilhelm Götzloff (1799-1866): Golf von Neapel, um 1824, Pinselzeichnung
Carl Wilhelm Götzloff (1799-1866): Golf von Neapel, um 1824, Pinselzeichnung
In dieser Pinselzeichnung von Wilhelm Götzloff der als junger Maler nach Neapel übersiedelte und dort bis zu seinem Tod blieb, scheinen die Landschaftsformen im Licht zu baden. Götzloffs virtuose aquarellierte Bleistifttechnik kombiniert präzise Linien mit malerischen Lichtwirkungen, wobei das Weiß des Papiers gezielt für lichtdurchflutete Akzente eingesetzt wird.
Links im Vordergrund lenkt eine kleine Szene mit Mutter und Kind den Blick auf eine Türöffnung in einer Mauer unter charakteristischer südländischer Vegetation. Von Schirmpinien beschattet, recken Agaven und Kakteen ihre Blüten und Blätter. Zur Blattmitte hin öffnet sich die Sicht auf eine Straße mit Fuhrwerken und dahinter auf die geschwungene Küstenlinie des Golfs von Neapel mit Bergen in der Ferne.
Bleiben Sie Ihrem Entschluss treu, unter Italiens schönem Himmel zu leben und zu sterben!
[...] In Italien lebe und strebe und schaffe der deutsche Künstler.
Jakob Friedrich Peipers (1805-1878): Italienische Idylle mit imposantem Baum, Aquarell
Jakob Friedrich Peipers (1805-1878): Italienische Idylle mit imposantem Baum, Aquarell
In dieser nahsichtigen Aquarellzeichnung von Jakob Friedrich Peipers vermag der Betrachter das Zirpen der Grillen und das Plätschern des Bachs zu hören. Gelegentlich mischen sich die Stimmen eines Paares mit Esel, das sich zur Mittagsrast unter die prächtige Eiche gesetzt hat, in die friedlichen Geräusche. Das Aquarell macht die Italienidylle nicht nur visuell, sondern auch atmosphärisch erfahrbar. Im Hintergrund erheben sich überwucherte Ruinenmauern, während das Licht des Südens durch eine breite Palette von Grün- bis Ockergelb-Tönen das Papier zum Leuchten bringt.
Edmund Steppes (1873-1968): Die Dächer von San Gimignano, 1938, Aquarell
Edmund Steppes (1873-1968): Die Dächer von San Gimignano, 1938, Aquarell
Das Aquarell von Edmund Steppes greift die typische Toskana-Landschaft mit einer Ansicht von San Gimignano auf. Die Dächer der historischen Gebäude schmiegen sich sanft an die Hügellandschaft, die von Zypressen durchzogen ist. Die pastellfarbenen, weichen Töne erzeugen eine Atmosphäre, in der die Mauern und Steine durch die Strahlen der mediterranen Sonne eine angenehm warme Anmutung erhalten.



II. Sehnsucht nach ...
Schönheit und Natürlichkeit
Die Bewohner Italiens wurden von den deutschen Künstlern oft als Sinnbilder eines einfachen und natürlichen Lebensstils gesehen, Sehnsucht nach einem "natürlichen Leben", was zu einer idealisierten und teils exotisierten Darstellung führte. Italienerinnen wurden als Verkörperung von Schönheit, Natürlichkeit und emotionaler Tiefe dargestellt.
Adolf Closs (1840-1894) nach Anton von Werner (1843-1915): Am Brunnen von Olevano, um 1875, Holzstich
Adolf Closs (1840-1894) nach Anton von Werner (1843-1915): Am Brunnen von Olevano, um 1875, Holzstich
Der Holzstich von Adolf Closs nach Anton von Werner "Am Brunnen von Olevano" (s.o.) erzählt historisch, wie europäische Freilichtmaler auf einheimische Frauen am Brunnen treffen. Die Maler wirken beeindruckt und gehen humorvoll auf die Frauen zu. Die italienischen Frauen sind traditionell gekleidet und scheinen einerseits belustigt, andererseits zurückhaltend. Diese Begegnung zeigt die Anziehungskraft des italienischen Volkslebens auf die europäischen Künstler, die sich dabei jedoch auch in eine exotisierende Perspektive verfingen. Die Italienerinnen wurden als Teil eines malerischen und faszinierenden, aber zugleich fremdartigen Lebensstils wahrgenommen, der von vielen Künstlern bewundert und romantisiert wurde.
Wenn man die wegen ihrer Schönheit und
poetischer Tracht weltberühmten Italienerinnen sehe, wie sie mit ihren roten Miedern
und in stolzer Haltung ihre thönenden Vasen am Brunnen mit Wasser füllten, dann begreift man,
warum die Künstler in den Süden zögen.
Ludwig Deurer (1806-1847): Junge Italienerin in Landestracht, 1828, Bleistift
Ludwig Deurer (1806-1847): Junge Italienerin in Landestracht, 1828, Bleistift
Auch die Zeichnung von Ludwig Deurer gibt die Rückenansicht einer Italienerin in Landestracht wieder, deren selbstgewisse Haltung geradezu monumental wirkt.
Der schöne David
Fratelli Alinari (19. Jahrhundert): Fotografie des David, Bronze von Donatello, Florenz, um 1880, Albuminpapierabzug
Fratelli Alinari (19. Jahrhundert): Fotografie des David, Bronze von Donatello, Florenz, um 1880, Albuminpapierabzug
Dank der Menge an anmutigen Skulpturen gab es in Italien zahlreiche Vorbilder, anhand derer man Schönheit und Eleganz studieren konnte. Die vom Florentiner Künstler Donatello geschaffene Renaissance-Statue zeigt den jugendlichen David mit dem abgeschlagenen Kopf Goliaths zu seinen Füßen. Als erste lebensgroße Darstellung eines männlichen Aktes seit der Antike greift sie das Ideal antiker Schönheit auf. Vielleicht war es die s-förmige Kontrapost-Haltung des David, die die anmutige Körperhaltung schöner italienischer Frauen und Männer prägte.
Leo Primavesi (1871-1937): Junge Italienerin in dunkler Tracht, um 1890, Federzeichnung
Leo Primavesi (1871-1937): Junge Italienerin in dunkler Tracht, um 1890, Federzeichnung
Die junge Frau in schwarzer Tracht stemmt die rechte Hand in die Hüfte und blickt den Betrachter mit eindringlichen Augen direkt an. Ihre aufrechte Haltung und ihr selbstbewusster Ausdruck verkörpern die Authentizität, die Primavesi in seinen Porträts suchte. Der leere Hintergrund aus fließenden Linien hebt die Gestalt in detailliert bestickter Tracht noch stärker hervor, sodass sie wie ein fester Anker in einer bewegten Umgebung wirkt.
Dramatische Gesten
Leo Primavesi (1871-1937): Hockende Neapolitanerin, um 1896, Federzeichnung
Leo Primavesi (1871-1937): Hockende Neapolitanerin, um 1896, Federzeichnung
Eine weitere Federzeichnung Leo Primavesis zeigt eine hockende Italienerin in einer natürlichen, ausdrucksvollen Haltung. Ihre Geste wirkt unaufgesetzt und von emotionaler Tiefe, ein Beispiel für die körperliche Ausdruckskraft, die der Norden Europas den Italienern gerne zuschreibt.
Alles ist tot, es lebt die Liebe allein und ich ihr ...
Italienische Glut mit teutschem Gefühle vereinend ...
Sehe ich lange Dich an, ergreift mich verwirrender Schwindel.
Das Ideale verträgt, ach! nicht des Sterblichen Blick
Mamma Italia
Johann Baptist Kirner (1806-1866), Junge Italienerin mit Kind, Öl auf Papier
Johann Baptist Kirner (1806-1866), Junge Italienerin mit Kind, Öl auf Papier
Johann Baptist Kirner zeigt eine beschauliche Interieurszene, geprägt von Mutterliebe und familiärer Verbundenheit. Eine junge Mutter in italienischer Landestracht hat ihr Kind in den Schlaf gewogen. Ruhend sitzt sie neben der Wiege, ihr bedecktes Haar und der sanft geneigte Blick erinnern an die Madonnen Raffaels. Die Szene verkörpert die Sehnsucht nach Einfachheit und familiärer Wärme.






III. Sehnsucht nach ...
Vergangenen Zeiten
Unbekannt (19. Jahrhundert): Tempel der Vesta in Tivoli, um 1840, Öl
Unbekannt (19. Jahrhundert): Tempel der Vesta in Tivoli, um 1840, Öl
Das Gemälde eines unbekannten Künstlers zeigt den ikonischen Tempel der Vesta in Tivoli, der auf einem Felsen thront, aus der Untersicht. Die kräftigen Säulen und das verblassende Relief erzählen von der Erhabenheit antiker Architektur.
Unbekannt (19. Jahrhundert): Ruinen auf dem Palatin in Rom, Aquarell
Unbekannt (19. Jahrhundert): Ruinen auf dem Palatin in Rom, Aquarell
In diesem Aquarell werden die überwucherten Überreste des Caesarenpalasts auf dem Palatin in Rom dargestellt. Auch dieser Künstler bedient sich der Untersichtsperspektive, wodurch die Ruinen besonders imposant wirken. Der teils wolkenverhangene Himmel wirft Schatten auf das Mauerwerk und unterstreicht die Melancholie in der Stimmung, die an die verlorene Größe des Römischen Reiches erinnern soll.
Grobon (19. Jahrhundert): Ruinen in der Campagna Romana, um 1850, Aquarell
Grobon (19. Jahrhundert): Ruinen in der Campagna Romana, um 1850, Aquarell
Nicht zuletzt durch die weite Ebene, über der am Horizont eine sanfte Hügelkette verläuft, wirken die beiden Ruinenstücke in diesem Bild monumental und unverrückbar. Die vermutlich antiken Überreste erinnern an die Ruinen des Circus des Maxentius, die sich an der berühmten Via Appia Antica bei Rom befinden. Mit erdigen Farben und lasierenden Tönen komponiert der vermutlich aus der französischen Künstlerfamilie Grobon stammende Aquarellist eine stimmungsvolle Landschaftsszene unter der warmen Sonne Italiens.



IV. Sehnsucht nach ...
Mystik, Wundern und der Heiligen Jungfrau
Vermutlich begegnet man nirgendwo so vielen aufwendig geschmückten Madonnenschreinen, wie in den Straßen und an den Hauswänden von Neapel. Und in keiner anderen Stadt kann man in so vielen Kirchen und Kathedralen beten wie in Rom.
Während sich Nordeuropa zunehmend säkularisiert, bleibt das Bild eines katholisch geprägten Italiens – eines Landes, in dem Madonnenwunder möglich scheinen – lebendig. Dieses Bild wurde nicht zuletzt durch die viel gelobte Serie Il Miracolo von 2018 geprägt, deren Dreh- und Angelpunkt eine blutweinende Madonna darstellt.
Die Sehnsucht nach Mystik und Wundern zog schon immer viele Reisende und Pilger*innen ins Land. Auch heute vermögen die heiligen Hallen mit ihren Altarbildern, Fresken und Skulpturen selbst Nichtgläubige in transzendente Stimmungen zu versetzen.
Wilhelm Bülow (19. Jahrhundert): Das erste Gebet, Italienerinnen bei Madonnenbild, Lithographie
Wilhelm Bülow (19. Jahrhundert): Das erste Gebet, Italienerinnen bei Madonnenbild, Lithographie
Schon früh übt sich. Diese detailreiche Darstellung zeigt italienische Frauen und Kinder unter einer Madonnenstatue kniend beten. Die Frauen führen ihre Kinder in die Praxis des Gebets ein. Im Hintergrund brodelt der Vesuv.
Raphael Morghen (1758-1833 Florenz) nach Raffael; Raffaello Sanzio da Urbino (1483-1520): Die Transfiguration Christi und die Heilung des mondsüchtigen Jungen, nach 1867, Radierung
Raphael Morghen (1758-1833 Florenz) nach Raffael; Raffaello Sanzio da Urbino (1483-1520): Die Transfiguration Christi und die Heilung des mondsüchtigen Jungen, nach 1867, Radierung
Die Transfiguration Christi ist wohl einer der eindrucksvollsten und dramatischsten Wundermomente der biblischen Erzählungen und der christlichen Ikonografie. Mit dem schwebenden Jesus, den großen Gesten, den tiefen Emotionen in den Gesichtern der Anwesenden und den intensiven Lichteffekten verkörpert das Werk den Höhepunkt christlicher Wunderdarstellungen. Wo könnte eine solche Darstellung besser aufgehoben sein als in Italien? Die Transfiguration war das letzte Gemälde, an dem Raffael bis zu seinem Tod im April 1520 arbeitete, und befindet sich heute in den Vatikanischen Museen in Rom. Das Bild zeigt im oberen Teil die Verklärung Christi am Berg Tabor, während im unteren Teil die Heilung des mondsüchtigen Jungen dargestellt ist.
Fratelli Alinari (19. Jahrhundert) Umkreis: Lesesaal des Vatikans, um 1880, Albuminpapier
Fratelli Alinari (19. Jahrhundert) Umkreis: Lesesaal des Vatikans, um 1880, Albuminpapier
Wenn man durch die weiten Hallen der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek schreitet, kann einem angesichts des Prunks, der Darstellung von Kirchenvätern und Heiligen an den Wänden, schon eine gewisse Ehrfurcht überkommen. Der Saal ist vollständig mit Fresken verziert. Er wurde Ende des 16. Jahrhunderts errichtet und wurde auf Wunsch von Papst Sixtus V. eingerichtet. Ein repräsentativer Lesesaal, der den Geist der Gelehrsamkeit mit der Aura des Glaubens verbindet.



V. Sehnsucht nach ...
den Zitronenbäumen
An einem heißen Sommertag stillt die Zitrone mit ihrer leichten Bitterkeit und feinen Süße den Durst nach Frische. Ihre leuchtend gelbe Farbe steht für sommerliche Leichtigkeit, ihr spritziger Geschmack für Lebensfreude. Sie ist ein Sinnbild des mediterranen Klimas.
Unbekannt (19. Jahrhundert): Zitronenzweig mit Früchten, 1848, Öl
Unbekannt (19. Jahrhundert): Zitronenzweig mit Früchten, 1848, Öl
Auch Goethe verband Italien mit Sehnsucht und Zitronenbäumen: In „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ friert sich die Romanfigur Mignon nach dem warmen Süden, wenn sie ihr berühmtes Lied „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn“ singt.
Mignon
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl?
Dahin! dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn! [...]

Ausklang
Vielleicht erklärt sich die besondere Verbindung zwischen Deutschland und Italien dadurch, dass die Sehnsucht in der deutschen Romantik und Kulturgeschichte verwurzelt ist – und Italien bietet dafür die ideale Projektionsfläche: Ein Land, das Schönheit und Natürlichkeit, Wärme und Licht, die Spuren vergangener Zeiten, die Mystik der Madonna und den Duft der Zitronenbäume vereint.
© Frankfurt am Main 2024
"Italien sehen und sterben" von H. W. Fichter Kunsthandel
anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2024 mit Italien als Gastland
Text und Konzept: Anna Toepffer
Arndtstr. 49 | 60325 Frankfurt/Main
Tel. +49-(0)69-74 38 90 30 | info@fichterart.de
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