Ein rätselhaftes Bild.

Von Schönheit, Bestimmung und Vergänglichkeit

Eine Werkvorstellung

Ein rätselhaftes Bild hat den Weg zu uns gefunden. Es zeigt eine eigenartige Ansammlung von Figuren und Objekten.

Da ist ein Affe mit einer brennenden Fackel, ein Mädchen mit entblößter Brust und ein alter Mann mit jungem Körper, schwarzen Flügeln und einer Sense. Je länger man hinschaut, desto mehr Details tauchen auf und umso mehr Fragen stellen sich.

Lässt es sich entschlüsseln?

Gotthelf Leberecht Glaeser (1784-1851)

Allegorische Darstellung

Technik: Pastell auf Pergament
Datum: 1832
Unten links signiert und datiert: "Glaeser invent pinx 1832".
Maße: 76,5 cm x 62,5 cm

Akteur und gleichzeitig zentrale Figur dieses Werkes ist ein Mann in brauner Toga mit Sense. Während sein Körper dem eines jungen virilen Mannes gleicht, offenbaren die vielen Falten und der weiße Bart sein bereits fortgeschrittenes Alter. Seine mächtigen schwarzen Flügel umfangen ein junges Mädchen mit verklärtem Blick und einer Haut wie Porzellan. Der Blick des Betrachters ist frontal auf sie gerichtet, während die geflügelte Figur hinter ihr das blaue Kleid abstreift. In seine schwarzen Flügel gehüllt scheint es, als ob er mit ihr davonfliegen wird. Ihr Blick ist himmelwärts gerichtet. Ihr Wesen wirkt bereits wie davongetragen. Gleichzeitig trägt sie den Lorbeerkranz, das Zeichen der Sieger.

Diese Figurenkonstellation bedarf einer kunsthistorischen Erklärung, denn die Darstellung der schönen Frau, die von dem alternden Mann mit Sense und Flügeln geraubt wird, ist ikonografisch bedeutsam.

Im Mann erkennen wir Chronos, den Gott der Zeit. Die Frau ist die Allegorie der Schönheit und im Zusammenspiel offenbart sich, dass Schönheit eine Freude von temporärer Vergänglichkeit ist. 

Der Künstler kann sich mit seiner Darstellung auf vergleichbare Werke stützen, etwa "Die Zeit raubt die Schönheit" und "Die Zeit enthüllt die Wahrheit", ein Gemäldepaar von Giovanni Domenico Cerrini aus den 1670er-Jahren, das einst von Landgraf Wilhelm VIII. in Kassel erworben wurde.

Möglicherweise hat der Maler Glaeser die Gemälde dort gesehen und sich von ihnen inspirieren lassen. Es fällt auf, dass Glaesers Mädchen die gleichen blau-weißen Gewänder trägt wie Cerrinis weibliche Schönheiten. Und auch, dass alle Frauen dem Betrachter mit entblößter rechter Brust frontal präsentiert werden.

Doch damit ist die Komposition noch nicht vollständig erfasst. Glaeser hat die Szenerie mit weiteren Elementen versehen.

 Neben dem Mädchen unter einer Staffelei befinden sich verschiedene Gegenstände: Ein geöffnetes Holzkästchen, auf dem eine Palette mit Pinseln und ein weißer Lappen liegen, dazwischen ein Spiegel. Hierdurch verknüpft Glaeser geschickt das Schönheits- und Vanitasmotiv mit der Malerei, die ja gerade durch ihre bildliche Fixierung der Vergänglichkeit entgegenwirken möchte. 

Auf der Staffelei mit der Leinwand sind schwache weiße Konturlinien zu erkennen, die eine ebenfalls allegorische Szenen darstellen. Justitia thront auf einem Podest und trägt in ihrer Rechten die Waagschale, während sie sich auf einen Schild stützt. Darunter ist Spes, die Verkörperung der Hoffnung, mit einem Anker als Attribut zu sehen. Dazwischen verweist ein Löwe mit Krone als Wappen auf das Haus Hessen.

Ein Affe sitzt auf Chronos' Schulter und hat eine Fackel mit der Inschrift „Paris“ entzündet.  Funken, Flammen und Rauch steigen auf.  Der Schriftzug verweist auf die Figur des Paris aus der griechischen Mythologie, der dafür bekannt war, das Urteil zu fällen, welche der Göttinnen die schönste ist: Hera, Athene oder Aphrodite.
In der Kunstgeschichte ist der Affe mit verschiedenen Konnotationen belegt. Er steht für Eitelkeit, für das Dämonische, die Triebe im Menschen, aber auch für das Närrische.
In unserem Fall ist der Affe Initiator des Verlaufs der Dramaturgie. Mit dem Öffnen der Fackelbüchse hat er das Feuer entzündet, das aus Eitelkeit Unheil hervorbringt.

Da Glaeser in dieser Allegorie der Vergänglichkeit die Malerei hineinwebt, könnte auch folgende, doppelte Bedeutung eine Rolle spielen: Liest man "Paris" nicht als Sohn Trojas, sondern als Städtenamen der Kulturhauptstadt des 19. Jahrhunderts schlechthin, so könnte sich hiermit auch eine Kritik am französischen Kulturbetrieb der Zeit festmachen lassen. Es wäre dann alles Schall und Rauch und genauso kurzlebig wie die Schönheit selbst. 

Schließlich gesellt sich in der unteren rechten Ecke des Ensembles ein betender Putto mit Flamme hinzu, der Zeuge des Geschehens ist. Mit ihm verdichtet sich die Lesart des Bildes hin zu einer Allegorie der Malerei.

In diesem Werk scheint kein Element nur als Schmuck zu fungieren, vielmehr dient alles der Aufgabe, den Bildinhalt mit weiteren Ebenen zu füllen. Jedes einzelne Motiv übernimmt eine allegorische Funktion und schafft so spannende Bezüge. Auch wenn nicht alle Beziehungen eindeutig geklärt werden können, lädt dieses faszinierende Gemälde den Betrachter ein, die Geheimnisse hinter der Komposition zu ergründen und über die vielschichtigen Symbole und Allegorien nachzudenken.

Künstlervita
Gotthelf Leberecht Glaeser

Geboren am 11. Juli 1784 in Pegau bei Leipzig

Sohn von Johann Friedrich Gotthelf Glaeser (Kantor und Schuldirektor) und Christiane Hübler

Schüler von Friedrich August Tischbein an der Leipziger Kunstakademie, beeinflusst von Anton Graff

ab 1812 als großherzoglicher Hofmaler in Darmstadt tätig

lebte von 1820 bis 1823 in Frankfurt am Main

Mitglied der Freimaurerloge Johannes Evangelist zur Eintracht in Darmstadt

Spezialisiert auf Porträtmalerei und allegorische Darstellungen

Sein Stil wurde von Kunsthistoriker Heinrich Ragalle als "beseelter Realismus" beschrieben

Bekannte Porträtierte: Christiane Schumann (Mutter des Komponisten Robert Schumann), Großherzogin Luise, Prinz Christian von Hessen-Darmstadt, Schriftsteller August Schumann

Werke im Schlossmuseum Darmstadt, Hessischen Landesmuseum Darmstadt und Jewish Museum in New York

Verstorben am 19. Mai 1851 in Langen bei Darmstadt

Warum bin ich vergänglich, o Zeus? so fragte die Schönheit.
Macht ich doch, sagte der Gott, nur das Vergängliche schön.
Und die Liebe, die Blumen, der Tau und die Jugend vernahmens;
Alle gingen sie weg, weinend, von Jupiters Thron.
Leben muß man und lieben; es endet Leben und Liebe.

Johann Wolfgang von Goethe, Vier Jahreszeiten

Bildnachweis

  1. Giovanni Domenico Cerrini (1609–1681),
    Die Zeit raubt die Schönheit, 1670 - 1680,
    Museumslandschaft Hessen Kassel
  2. Giovanni Domenico Cerrini (1609–1681),
    Die Zeit enthüllt die Wahrheit, 1670 - 1680,
    Museumslandschaft Hessen Kassel

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Text und Konzept: Anna Toepffer